Eckmotive

Jetzt habe ich schon so oft von unterschiedlichen Eckmotiven gesprochen, dass es an der Zeit ist, "dies" genauer zu erklären. Gemeint ist mit dem Begriff "Eckmotiv" die Bemalung in den vier Ecken der Fliesen, die sich im Lauf der Jahrzehnte -zum Teil entsprechend dem Zeitgeschmack- änderte. Zur besseren Übersicht hier nun der Reihe nach die charakteristischen Formen: 

Die im 16. Jahrhundert in den Niederlanden aufkommende italienische Fliesentechnik, ergänzt durch die aus Spanien stammenden spanisch-maurischen Formelemente, prägten das Erscheinungsbild der Fliesen zwischen 1570 und 1635.  

 

Elster im "italienischen Medaillon" (Rahmung aus mehr als drei konzentrischen Kreisen); polychrom; Eckmotiv: Viertelrosette (Ausspartechnik); Rotterdam, 1590 - 1625;
13,5 x 13,5 x 1,5 cm

Aus diesem Grund herrschten in dieser Zeit maureske Eckornamente und (italienische) Viertelrosetten bei der Eckbemalung vor. 

Löwe in maureskem Quadrat, polychrom; Eckmotiv: sog. nierenförmige Maureske ("palmethoek") in Ausspar- bzw. Reservetechnik aufgemalt; vermutlich Provinz Holland, 1580 - 1625 (um 1600); 13,4 x 13,4 x 1,5 cm

Das Muster wurde in Reservetechnik aufgebracht, d.h. die weiße Zinnglasur bei der blauen bzw. blauschwarzen Bemalung ornamental ausgespart.

Schon um 1610 traten die ersten polychromen Eckbemalungen in Form Burgundischer Lilien auf.

Ornamentfliese mit Granatapfel; polychrom; 
Eckmotiv: polychrome Burgundische Lilie; Provinz Holland, 1620 - 1650; 13,8 x 13,8 x 1,7 cm

Ab etwa 1620 begannen die Fliesenmaler, inspiriert durch den Import Chinesischen Porzellans, die typische blau-weiße Bemalung nachzuahmen. Hierbei wurden auch diverse chinesische Dekorelemente übernommen, wie z.B. das Mäander-Muster. So entstand das Wan-Li-Eckmotiv, welches nach und nach die Mauresken verdrängte. 

Fuchs auf "Rotterdamer Landschaftsstaffage" im dreifachen Kreis, sog. "Rotterdamse kroontegel"; blau; Eckmotiv: Wan-Li-Mäander; Rotterdam, 1630 - 1650;
13,2 x 13,2 x 1,4 cm

Ungefähr zur gleichen Zeit dürften die Fliesenmaler erstmals auch den sog. "Ochsenkopf" als Eckverzierung verwendet haben. Obwohl G. Kaufmann die Meinung vertritt, dass es sich bei diesem Motiv eher um eine stilisierte Arabeske (Rankenmotiv) handeln könnte, hat sich die Bezeichnung Ochsenkopf bis heute durchgesetzt. 

Blumenvase ("Bloempotje"); blau; Eckmotiv: (großer) Ochsenkopf; Provinz Holland, 1620 - 1650; 
13,2 x 13,2 x 1,4 cm

Daneben wurden seit Ende des 1. Viertels des 17. Jahrhunderts die Fliesenecken ebenfalls mit Blüten- und Blattmotiven ausgemalt, wie z. B. mit dem naturalistisch dargestellten Weinlaub oder Eichenlaub einerseits und der stilisierten Eckverzierung des Flügelblattes andererseits. 


Jagdszene: Kampf zwischen Bär und Jagdhund in Akkoladenrahmung; blau; Eckmotiv: Flügelblatt; 
1625 - 1650; 12,8 x 12,8 x 1,0 cm; selten

Etwa um diese Zeit entstanden ferner das Dreifaltigkeit-Motiv, eine Abwandlung vom Ochsenkopf und dem Blattmotiv,

Blume in ovaler Rahmung; polychrom; Dreifaltigkeit-Eckmotiv; 
1620 - 1650;
13,0 x 13,0 x 1,2 cm

die Volute, ein schneckenförmiges Eckornament aus C-förmigen Spiralen, welches in der Zeit von 1625 bis 1670 Verwendung fand, sowie diverse Formen der Viertelrosette, die nun nicht mehr in Reservetechnik gemalt wurden. 

Kuh; blau; Eckmotiv: seltene Form der Viertelrosette; 
1625 - 1650;
13,0 x 13,0 x 1,4 cm

Ab 1640 erschien endlich der Spinnenkopf bzw. das Spinnenköpfchen ("spinnekopje"), zumeist verkürzt auch als "Spinne" bezeichnet.

Bibelszene: "Geißelung Jesu" (Johannes XIX.1.; Matthäus XXVII.26.; Markus XV.15.); blau; Eckmotiv: "frühe" Spinne;
 vermutlich Rotterdam, 
1670 - 1700; 
12,7 x 12,7 x 1,0 cm

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts entwickelten sich vorübergehend einige in Sprenkeltechnik aufgebrachte geometrische Eckmotive, die an die Phase der Reservetechnik erinnern sollten, wie die Viertelrosette bzw. der Viertelkreis, der Viertelstern und das Herz.


Schäferszene: Motiv blau in mangan gesprenkelter Raute; Eckmotiv: Viertelkreis in gleicher Sprenkel-Technik ausgemalt; 1670 - 1700; 12,6 x 12,6 x 1,0 cm



Schäferszene:
Motiv blau im Kreis, ausgespart auf mangan gesprenkeltem Quadrat; Eckmotiv: Vierecke im diagonalen Muster mit Viertelrosette; 1700 - 1730; 13,0 x 13,0 x 0,8 cm


Schäferszene: Motiv blau im Rosettenmedaillon, ausgespart auf gesprenkeltem Mangangrund; Eckmotiv: Herz in Reservetechnik; 1700 - 1770; 12,5 x 12,5 x 1,0 cm
 

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kamen weitere Eckmotive hinzu: Die Nelke, neue Blattformen, wie z.B. das Viertelkleeblatt, sowie Mischformen zwischen Blume und Blatt, bezeichnet als Federn ("geveerde Hoek"), und nicht zuletzt unterschiedliche Formen der Viertelrosette.

zwei Landschaften mit Nelkeneckmotiv; links: Winterszene mit Schlittschuhläufern; blau und mangan; Rotterdam, 1740 - 1780; 12,8 x 12,8 x 0,8 cm; rechts: heimkehrender Bauer mit Horn und Ochse; mangan; Amsterdam, 1720 - 1770; 13,0 x 13,0 x 0,7 cm

Der Ochsenkopf und der Spinnenkopf waren dann das überwiegend im 19. Jahrhundert verwendete Eckmotiv, welches bis ins 20. Jahrhundert anhielt. Gleiches gilt für das vor allem für die Blumenvasen-Fliesen typische (Wan-Li-)Mäander-Eckmotiv.

Romantische Schäferszene; blau; mit typischem Spinneneckmotiv des 18. Jhdts. (hier 1. Hälfte 18. Jhdt.); 12,9 x 12,9 x 0,8 cm

     

Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass die  Formgebung  der einzelnen Eckmotive sich im Lauf der Zeit veränderte. So ist zu erkennen, dass z. B. der Ochsenkopf zu Beginn (ab 1620, vereinzelt auch schon ab 1610) in Größe und Form anders aussah als jenes wesentlich kleinere Motiv ab der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, welches im 18. und 19. Jahrhundert noch zierlicher gestaltet war. 

Landschaftsfliesen; links: Bauer seine Kuh tränkend; mangan; 12,9 x 12,9 x 0,7 cm; rechts: Hirten mit Herde; blau; 12,8 x 12,8 x 0,9 cm; beide mit typischem Ochsenkopf-Eckmotiv des 
18. Jhdts.

Gleiches ist für das Spinnenköpfchen zu beobachten, das noch im 18. Jahrhundert die typischen Schnörkel hatte, die im 19. und 20. Jahrhundert meist wegfielen und seitdem eher die Form eines Blümchens mit vier runden Blättchen annahm. 



vier Landschaftsfliesen als fortlaufende Insellandschaft mit Gebäuden und Schiffen zusammengelegt, deshalb wird diese Art des Motivs auch als "Insellandschaft" bezeichnet; mangan; alle 13,0 x 13,0 x 0,7 cm; mit typischem Spinnenkopf-Eckmotiv des 19. Jhdts. (hier Utrecht ca. 1850 - 1880) 

Damit lässt sich anhand der Eckmotive und ihrer jeweiligen Ausgestaltung ein recht sicherer Hinweis auf das Alter einer Fliese geben (siehe auch Altersbestimmung).

Hier nun in der Zusammenschau 

eine Auswahl der typischen Eckmotive

Maureske

Viertelrosette

Lilie

Wan-Li

 

Blatt

Blüte

Flügelblatt

Volute


Dreifaltigkeit

Ochsenkopf

Spinne

Viertelstern


 

Nelke

Federn

Viertelrosette

Mäander

Wem das als Information noch nicht ausreicht, der findet hier unter dem folgenden Link Genaueres zur Datierung der einzelnen Eckmotive.


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